Goldstein by Volker Kutscher

Goldstein by Volker Kutscher

Autor:Volker Kutscher [Kutscher, Volker]
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: General Fiction
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2010-08-24T22:00:00+00:00


58

Seit Ewigkeiten hatte Rath diesen langgestreckten Korridor nicht mehr betreten, schon gar nicht so früh morgens. Er begegnete nur wenigen Kollegen und keinem einzigen, den er kannte. Die Beamten, mit denen er im Sittendezernat am engsten zusammengearbeitet hatte, waren beide tot, und mit den anderen hatte er nicht viel zu schaffen gehabt. Kein Wunder, er hatte nicht einmal zwei Monate bei der Sitte gearbeitet, und diese zwei Monate lagen schon ein paar Jahre zurück.

Beim Inspektionsleiter allerdings schien er einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.

»Kommissar Rath«, sagte Werner Lanke und stand auf, um Rath die Hand zu geben. »Welch eine Überraschung! So früh waren Sie seinerzeit nie im Präsidium.« Der Kriminalrat deutete auf Kirie. »Wusste gar nicht, dass Sie auf den Hund gekommen sind.«

Werner Lanke lachte über seinen Witz, und Kirie wedelte mit dem Schwanz, weil sie zu merken schien, dass man über sie sprach. Rath verzog sein Gesicht zu einem wohlwollenden Grinsen. Er war der Bittsteller, er musste freundlich sein. Auch wenn er und der Chef des Sittendezernats sich in gegenseitiger Abneigung verbunden waren. Der Kriminalrat hatte seinen Spitznamen der krumme Lanke redlich verdient. Der Mann ging so weit nach vorne gebeugt, dass aus den amtlichen ein Meter neunundachtzig, die in seinem Dienstausweis als Körpergröße vermerkt waren, höchstens einsachtzig wurden. Diese Körperhaltung gab dem Mann etwas Geierhaftes, ein Eindruck, der durch die markante Nase und die stechenden Augen, die meist über eine Lesebrille schielten, noch verstärkt wurde.

»Gut, dass ich Sie antreffe, Herr Kriminalrat«, sagte Rath.

»Ich weiß nicht, ob das so gut ist. Ich bin in Eile. Bin verabredet.«

»Nur zwei Minuten.«

»Na schön.« Lanke setzte sich wieder. »Was verschafft mir denn die Ehre Ihres Besuchs?«

»Ich suche eine Zeugin ...«

»Und die hoffen Sie in meinem Büro zu finden? Wenn Sie Fräulein Lübbe meinen – die ist noch nicht hier.«

Jutta Lübbe war Lankes Sekretärin. Raths Vorräte an pflichtbewusstem Lächeln gingen langsam zur Neige. »Die Dame heißt Marion Bosetzky«, sagte er, »und ist vor zwei Jahren auf der Informantenliste der Inspektion E gelandet.«

»Soso.«

»Sie war Nackttänzerin in einem illegalen Nachtclub. Bis man dort von ihrer Nebentätigkeit erfuhr und sie feuerte.«

»Sie sind erstaunlich gut informiert.«

»Das A und O guter Polizeiarbeit.«

»Und was soll ich für Sie tun?«

»Ich brauche möglichst alle Informationen über Fräulein Bosetzky. Und ich würde gern ihren Verbindungsmann sprechen. Wer hat sie seinerzeit rekrutiert, wird sie heute noch eingesetzt, und wenn ja, wo? All diese Fragen.«

Während er sprach, merkte Rath immer mehr, dass es ein Fehler gewesen war, hier einfach hineinzuspazieren und jemanden wie Werner Lanke um Hilfe zu bitten. Dem Kriminalrat war förmlich anzusehen, wie sehr er seine Macht genoss und noch mehr die Hilflosigkeit seines Gegenübers.

»Sie sprechen hier über Dinge, die höchster Geheimhaltung unterliegen. Interna der Inspektion E, und ich ...«

»Ich spreche hier von einer Ermittlung, in der Fräulein Bosetzky als Zeugin eine wichtige Rolle spielen könnte.«

»Wenn es so wichtig ist, dann wird Kriminalrat Gennat ja mit Sicherheit einen Antrag auf Akteneinsicht stellen. Von Inspektionsleiter zu Inspektionsleiter.« Lanke beendete die Audienz abrupt. Er stand auf und griff zum Mantel. »Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.



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